Ärztlicher Aktionismus als häufigste Todesursache?
Das weist Gerd Reuther anhand statistischer Erhebungen in einem Fokus-Beitrag aus dem Jahre 2017 nach. Das eigentliche Problem liege darin, dass die ärztlichen Behandlungen auf 700 Millionen pro Jahr gestiegen sind und damit die Patienten einer Überdosis Medizin ausgesetzt seien. Dabei geht es nicht nur um Gelenkprothesen bei einer 90-Jährigen oder Chemotherapien im letzten Lebensmonat, da geht es auch um unerwünschte Medikamentenwirkungen, die nicht erkannt werden und für circa 60.000 bis 70.000 Todesfälle verantwortlich sind. Da geht es auch um die 30.000 Todesfälle wegen Infektionen während der Krankenhausaufenthalte. Reuther räumt ein, dass es zwischenzeitlich eine Reihe lebensrettender und lebensverlängernder Maßnahmen gibt. Aber die Mehrzahl auch heutiger Behandlungen ist nicht besser als der Spontanverlauf. Es habe sich ärztlicher Aktionismus breitgemacht ohne nachgewiesenen Patientennutzen. Die Folge: behandlungsbedingte Krankheiten und Tod.
Schmerzensgeld bei unnötiger Zahnspange
„als wir noch zur Schule gingen gab es immer nur einige Kinder in der Klasse, die eine Zahnspange trugen“. Zwischenzeitlich wird jedes zweite Kind in Deutschland von einem Kieferorthopäden „betreut“. Haben wir alle Kinder mit Zahnfehlstellungen geboren? Eher nicht, es wird bei den Kindern von heute offensichtlich zu viel „herumgedoktert“. Der Bundesrechnungshof kritisiert ausdrücklich, dass Kinder in Deutschland mit Zahnspangen versehen werden, obwohl deren Nutzen in vielen Fällen nicht ansatzweise feststeht. Es kommt der Verdacht auf, dass Kieferorthopäden begradigen und behandeln was geht. Wohl nicht zufällig sind diese in den 90er-Jahren zu der größten Newcomer Gruppe im Golfclub aufgestiegen.
Es kommt der Verdacht der medizinischen Fehlbehandlung auf. Wer über Jahre hinweg mit einer Zahnspange aufgewachsen ist, ohne dass dafür eine Notwendigkeit (medizinische Indikation) vorlag, dem steht gegen den Orthopäden/Zahnarzt möglicherweise ein Schadensersatz wegen Fehlbehandlung zu. Lässt sich die medizinische Notwendigkeit nicht erklären, steht dem Kind/Jugendlichen möglicherweise ein angemessener Schmerzensgeldanspruch zu. Bei einer Behandlung über Jahre hinweg komme da selbst in Deutschland Beträge im vier- bis fünfstelligen Bereich zustande. Hinzu kommen noch die oftmals nicht unerheblichen Selbstzahlungen, die Eltern über Jahre hinweg beigesteuert haben.
Die Diskussion und die Kritik bei den Kieferorthopäden ist Branchenintern schon lange bekannt, wird jetzt durch den Bundesrechnungshof allerdings aktuell in die Öffentlichkeit getragen.
Der Ausgangspunkt: Fast kein Mensch hat von Natur aus das ideale Gebiss. Die bloße Existenz von Kiefer- und Zahnfeststellungen ist für sich gesehen noch keine legitime Begründung für eine kieferorthopädische Therapie, was schon seit Jahren kritisiert wurde (http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/zahnspange-kritik-an-kieferorthopaedie-unerwuenscht-a-1037018.html) und jedem Kieferorthopäden auch bekannt ist. Wenn er in Kenntnis dieser Umstände fast allen Kindern, die in seine Praxis kommen eine Spange verpasst, ist das anrüchig und zurecht auch haftungsträchtig.
Impingement: Operation wegen Schulter-Enge-Syndrom per se eine Fehlbehandlung
Bei einer Verengung im Schultergelenk raten nicht wenige Ärzte zum Abschleifen von Schulterknochen. Man hat angenommen, dass dann mechanisch mehr Platz vorhanden ist. Dr. Lars Lehmann von Mannheimer Uniklinik hat in einem WDR-Bericht bestätigt, dass alleinige Abfräsen des Knochens ist „in den meisten Fällen bei der Schultererkrankung … sinnlos.“
Diagnoseirrtum oder Befunderhebungsfehler
Interpretiert ein Arzt erhobene Befunde falsch, liegt eine Diagnoseirrtum vor. Unterlässt der Arzt bestimmte Untersuchungen, die bei einer bestimmten Ausgangssituation geboten waren, spricht man von einem Befunderhebungsfehler (die Untersuchung wird zu früh abgebrochen). Die Unterscheidung hat Einfluss auf die Beweislast. [BGH, Urteil vom 21.10.2010 - VI ZR 284/09]
Geschädigter muss Arztfehler im Prozess nachweisen
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm wies eine Schmerzensgeldklage gegen eine Ärztin zurück, da der Kläger ein Verschulden der Ärztin nicht nachweisen konnte. Dieser hatte nach einem schweren Verkehrsunfall mit Kopfverletzungen die Praxis der beklagten Augenärztin aufgesucht. Laut des klagenden Mannes habe die Augenärztin ihn nicht fachgerecht untersucht und behandelt.