BGH äußert sich zum umstrittenen „Thermofenster“ unergiebig
Daimler will im Dieselskandal alles anders gemacht haben als VW. Das technische Ergebnis war aber in etwa gleich. Im Rahmen von Schadensersatzansprüchen und Rückabwicklungen wird es darauf ankommen, ob diese „andere technische Lösung“ auf vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung beruht. Genau diese Frage hat der Bundesgerichtshof nun in seiner Entscheidung vom 19.01.2021 nicht beantwortet. Die Verfasser der Entscheidung waren die bei Juristen häufig anzutreffenden Bedenkenträger.
Vorgeworfen wird dem Konzern, durch ein sogenanntes Thermofenster die Abgasreinigung nur in bestimmten Intervallen abhängig von der Außentemperatur zuzulassen. Allerdings funktioniert der Motor im Verkehr in der Regel ohne Abgasreinigung, weil die Temperaturen nicht stimmen. Daimler wird der Vorwurf gemacht, die Ausnahme zur Regel zu machen.
VW hat auch beim Golf 7 betrogen
Der Golf VII ist wie Millionen anderer VW-Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA288 ausgerüstet. Alles „sauber“, flötete der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess in verschiedenen Talk-Sendungen. In aktuellen Gerichtsverfahren, an denen auch wir beteiligt sind, kommt nun heraus: Auch der Dieselmotor EA288 verfügt über eine „Abschalteinrichtung“. Das würde bedeuten, der VW-Dieselskandal geht nicht nur weiter, sondern es sieht so aus, dass Volkswagen die Käufer durchgängig betrogen hat. Zuletzt hat nicht nur das Landgericht Darmstadt geurteilt, dass VW beim Dieselmotor EA288 (mit Euro 6) die Autobesitzer sittenwidrig und vorsätzlich geschädigt hat.
Wir haben zwischenzeitlich Volkswagen und deren Rechtsvertreter aufgefordert, sich im laufenden Verfahren zu erklären. Doch was machen die Verantwortlichen? Sie verschanzen sich derzeit hinter dem Argument, dass in der Vergangenheit viele Urteile zugunsten von Volkswagen ausgegangen seien. Kein Wunder: Da wusste man noch nicht, wie umfangreich der Betrug war. Wir überlegen in allen Klagen, mit denen wir Volkswagen in die Haftung nehmen, nun parallel im jeweiligen Zivilprozess auch eine Strafanzeige zu erstatten. Die Arroganz von Volkswagen und seinen Vertretern ist schon erstaunlich. Unsere Mandanten nehmen das aber nicht mehr hin.
Verjährung oftmals gerade nicht eingetreten
Am Donnerstag den 17.12.2020 fällte der BGH ein neues wegweisendes Urteil im Rahmen des Dieselskandals. Mit der Entscheidung des Musterfalls von Karlsruhe (Urt. v. 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20) stellte der Bundesgerichtshof (BGH) fest, dass Betroffene des Abgasskandals welche erst im Jahre 2019 gegen VW geklagt haben, keine Möglichkeit mehr haben, ihre Ansprüche geltend zu machen.
Der BGH geht in seinem Urteil davon aus, dass 2015 bereits alle von dem Abgasskandal erfahren hatten und damit jedem schon genug bekannt gewesen sei, um vor Gericht zu ziehen. Wusste man damals schon, dass auch das eigene Auto betroffen ist, hätte man folglich bis spätestens Ende 2018 klagen müssen.
In dem oben bezeichneten Rechtsstreit klagte ein Käufer, welcher den VW Touran im April 2013 für knapp 28.000 Euro neu erworben hatte. Das Auto ist also zweifellos mit dem problematischen Motor vom Typ EA189 ausgestattet und damit betroffen. Allerdings hat der Käufer seine Klage erst 2019 beim Landgericht Stuttgart eingereicht. Nach Ansicht des BGH ist dies zu spät. Der Käufer wusste, dass sein Fahrzeug als eines von mehreren Millionen VW-Dieselfahrzeugen mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet war, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden, und dass das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten deshalb eine Nachbesserung der betroffenen Fahrzeuge aufgab.
Nachtrag zum EuGH: Thermofenster sind illegal
Nachdem der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom Donnerstag, 17.12.2020 ein klares aber längst überfälliges Urteil gesprochen hat, steht fest, dass erneut in Deutschland Millionen Diesel-Fahrzeuge illegal unterwegs sind. Im Ergebnis dürften das fast alle Diesel-Fahrzeuge sein, die in den letzten 10 Jahren gebaut wurden.
Während sich Mercedes, BMW, Fiat (eigentlich alle Diesel-Fabrikanten) in der Vergangenheit gerne vom VW-Konzern distanziert haben, steht jetzt fest, dass die Anderen auch nicht besser sind. Wer den Ausnahmefall zur Regel macht, kann nicht ernsthaft behaupten, dass der Abschaltmechanismus dem Motorschutz dient. Fast alle Diesel-Fahrzeuge fahren durchweg umweltschädlich. Die reduzierten Rahmenbedingungen treten quasi in der Praxis gar nicht ein. Das Kraftfahrt-Bundesamt ist nun gefordert die illegalen Zustände „abzuschalten“ und die Fahrzeughersteller zu Fahrzeugrückrufen aufzufordern. Geschieht dies nicht, macht sich möglicherweise der Staat selbst haftbar. Die deutsche Umwelthilfe steht schon in den Startlöchern. Sie verlangt den Austausch der funktionsuntüchtigen Abgaskatalysatoren.
Der EuGH hat entschieden
Der Europäische Gerichtshof erklärt jedwede Abgasmanipulation für illegal. Jedes Fahrzeug, dass mit einer Software ausgestattet ist, die erkennt, ob sich der Wagen im Prüfzyklus befindet oder auf freier Strecke, ist vom Hersteller illegal manipuliert worden. Denn bei den meisten Fahrzeugen läuft im Test die Abgasrückführung bei Laborbedingungen so, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Im normalen Fahrbetrieb ist das dann in der Regel nicht mehr der Fall. Die Stickoxidbelastung steigt um ein Vielfaches.
Der Entscheid aus Luxemburg stellt nicht nur die Rechte für Besitzer älterer Diesel-Fahrzeuge in Frage, sondern auch neuer Fahrzeuge. Denn die Entscheidung dürfte somit auch das Ende des „Thermofensters“ einläuten. Hier hatten die Hersteller oft damit argumentiert, dass die Überschreitung der Grenzwerte notwendig sei, um den Motor zu schützen. Das gilt aber nicht, wenn die Ausnahme zur Regel wird. Einige Gerichte werteten die Thermofenster-Technik als „ausreizen der technischen Möglichkeiten“. Das geht jetzt nicht mehr.