„Nein heißt Nein!“ hat sich durch die Strafrechtsreform zu einer wahren Kampfparole gegen Vergewaltiger entwickelt.

Auf Vergewaltigungsopfer wird hierdurch Druck ausgeübt, sich in dieser für sie ausweglosen Situation zu äußern und quasi mit ihrem Vergewaltiger zu kommunizieren. Es wird ein Ausruf, eine Abwehrreaktion, ein aktiver Widerstand gefordert. Dies sei schließlich eine „normale“ Reaktion in einer Vergewaltigungssituation.

 

Die Dunkelziffer von Vergewaltigungs- sowie Nötigungstaten steigt dadurch aber ins Unermessliche. Viele Opfer gehen erst gar nicht zur Polizei, weil sie der Meinung sind, sie hätten sich nicht ausreichend gewehrt oder ihr „Nein“ nicht ausreichend klar statuiert. Aus ihnen unerklärlichen Gründen hatten sie nicht genug Kraft zu aktivem Widerstand und haben die Tat einfach über sich ergehen lassen.

 

 

Nun werden Zweifel in der Wissenschaft laut, ob es sich die Gesellschaft und insbesondere die Justiz mit ihrer Parole wohl zu einfach macht. Ist aktiver Widerstand in einer Vergewaltigungssituation wirklich der „Normalfall“? Eine Studie verneint dies vehement. Sie zeigt, dass die meisten Opfer einer Vergewaltigung vielmehr zu keinerlei Reaktion mehr in der Lage sind. Sie befinden sich während der Vergewaltigung in einer Art Schockstarre, die als tonische Immobilität oder als Rape-Freeze bezeichnet wird.

Die Freeze-Reaktion steigert dabei die Gefahr einer nachfolgenden posttraumatischen Belastungsstörung sowie schwerer Depressionen.

 

Bei der Untersuchung von 298 Angriffen gegenüber Frauen berichteten dabei 70% von einer deutlichen tonischen Immobilität und 48% sogar von einer extremen tonischen Bewegungslosigkeit.

Für die Wissenschaft steht dadurch eines fest: Fehlende Gegenwehr und eine passive Haltung dürfen nicht mehr als konkludente Zustimmung gewertet werden, denn nur ja heißt ja.

Bei der Schockstarre handelt es sich also um eine Art Ultima ratio (= letzter möglicher Weg) des Körpers, der in dieser Situation um das bloße Überleben kämpft. Es handelt sich um eine angeborene Reaktionsweise, die auch als Todstellreflex aus der Tierwelt bekannt ist. Soziale Kommunikation rückt dabei in unerreichbare Ferne für das Opfer.

Trotzdem wird genau diese von der Justiz gefordert.

 

[Quellen: „Vergewaltigung und tonische Bewegungslosigkeit“ in: PSYLEX Aktuelle Nachrichten aus der Psychologie, URL: https://psylex.de/psychologie-lexikon/recht/vergewaltigung-immobilitaet/ (Stand: 01.06.2023) m.w.N.; „Tonische Immobilität als häufige Ursache für funktionale Störungen“ von Michael G. Fleischhauer, Cornelia-Alexandra Krebs in: ORIGINALIA Osteopathische Medizin, URL: http://praxis-fleischhauer.de/wp-content/uploads/2016/05/tonische-immobilitaet.pdf (Stand 01.06.2023); „Schockstarre während Vergewaltigung: Hirnforschung stellt die Formel „Nein heißt Nein!“ in Frage“ von Frank Ochmann in: STERN, URL: https://www.stern.de/gesundheit/vergewaltigung--schockstarre-erschwert-die-abwehr--zeigt-hirnforschung-33489304.html (Stand 01.06.2023) m.w.N.]