Mit Verfügung 28.1.2020 hat die Staatsanwaltschaft Leipzig die Strafanzeige der Rechtsanwälte FISCHER & COLLEGEN gegen die Richter am Bundesverwaltungsgericht, die Kükenschreddern für tolerierbar erachtet haben, zunächst eingestellt. Hiergegen hat Rechtsanwalt Rafael Fischer Beschwerde eingelegt und unter Mitwirkung der Rechtsstudentin und Rechtspraktikantin Letizia Divava aus Konstanz wie folgt begründet:
[Originaltext vom 03.03.2020]
In der Beschwerdesache gegen Dr. Philipp
Liebler
Wysk
Kuhlmann
Rotfuß
Kennter
wird gegen die Einstellungsverfügung vom 28.01.2020 hiermit die eingelegte Beschwerde begründet:
Der Einstellung des Ermittlungsverfahrens ging folgendes voraus:
Das BVerwG urteilte am 13.06.2019 (BVerwG, Urteil vom 16.06.2019 – 3 C 28.16) über eine Ordnungsverfügung.
Der Kläger betreibt eine Brüterei. Er wendet sich gegen die Untersagung, männliche Küken zu töten.
Die Eier die im Betrieb des Klägers ausgebrütet werden, stammen von Hennen aus Zuchtlinien, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind. Für die Mast sind Tiere aus diesen Zuchtleistungen wenig geeignet. Daher werden die männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien in den Brütereien üblicherweise kurz nach dem Schlupf als sogenannte Eintagsküken getötet. Im Betrieb des Klägers werden jährlich ca. 800 000 Eier zur Erzeugung von Hennenküken ausgebrütet. Von den männlichen Küken werden ca. 200 000 getötet und etwa ebenso viele lebend abgegeben.
Im Juli 2013 stellte die Staatsanwaltschaft Münster ein Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber einer Brüterei wegen des Tötens männlicher Küken ein. Sie war der Auffassung, dass das Töten der Küken gemäß §17 Nr. 1 TierSchG strafbar sei; der Beschuldigte habe sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Daraufhin ließ das zuständige Landesministerium die Kreisordnungsbehörden anweisen, das Töten männlicher Küken zu untersagen.
Der Beklagte untersagte dem Kläger mit Ordnungsverfügung um 18. Dezember 2013 unter Androhung von Zwangsgeld ab dem 1. Januar 2015 die Tötung von männlichen, nicht zur Schlachtung geeigneten Küken. Die Tötung verstoße gegen den §1 Satz 2 TierSchG; sie erfolge ohne vernünftigen Grund im Sinne dieser Vorschrift. Das Verwaltungsgericht Minden hat die Ordnungsverfügung durch Urteil vom 30. Januar 2015 aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten durch Urteil vom 20. Mai 2016 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die tierschutzrechtliche Generalklausel in Verbindung mit § 1 Satz 2 TierSchG eine taugliche Rechtsgrundlage für die Untersagung; die grundlegenden Aussagen zur Verbotsschwelle seien der Vorschrift im Wege der Auslegung mit genügender Klarheit zu entnehmen. Ein vernünftiger Grund müsse auf einem anerkennenswerten menschlichen Interesse beruhen sowie unter den konkreten Umständen nach seinem objektiven Gewicht schwerer wiegen als das Interesse am Schutz der Unversehrtheit des Tieres. Ausgehend hiervon erfolge die Tötung der männlichen Küken nicht ohne vernünftigen Grund. Den Küken werde zwar der größtmögliche Schaden für ihre Unversehrtheit zugefügt; nach gegenwärtigem Stand hätten die Belange des Klägers aber größeres Gewicht. Wirtschaftliche Interessen seien im Rahmen der Produktion tierischer Lebensmittel nicht von vornherein nachrangig. Nutztiere würden zweckgerichtet für ihre Verwendung auf dem Markt erzeugt, gehalten und getötet; das sei kein Mangel an Achtung der Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit. Die Tötung von Tieren sei nicht nur gerechtfertigt, wenn sie für den Menschen existenzielle Zwecke erfülle. Das gelte auch im Lichte der Staatszielbestimmung Tierschutz. Maßgebender Grund für die Tötung der männlichen Küken sei, dass sie wegen ihres Geschlechts nicht zur Produktion von Eiern genutzt werden könnten und wegen der Eigenschaften ihrer Zuchtlinie nicht für die Produktion von Fleisch verwendet würden. Die Aufzucht der männlichen Küken stehe im Widerspruch zum erreichten Stand der Hühnerzucht und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen; der Aufwand sei ökonomisch sinnlos. "Bruderhähne" und Stubenküken seien ein bloßes Nischenprodukt; ihre Vermarktung in größerem Umfang sei unrealistisch. Von der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit des Haltens der männlichen Küken seien die staatlichen Stellen über Jahrzehnte ausgegangen. Die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 regele eine gesonderte Tötungsmethode für Küken mit einem Höchstalter von 72 Stunden; bestünde ein Tötungsverbot wären diese Vorschriften funktionslos. Alternativen zur Tötung der männlichen Küken seien gegenwärtig nicht vorhanden. Die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei seien unter realen Praxisbedingungen noch nicht einsetzbar. Die Leistungsmerkmale von Küken aus Zweinutzungslinien blieben noch so weit hinter den spezialisierten Zuchtlinien zurück, dass sie sich für einen breiten Einsatz nicht eigneten. Schließlich möge es sein, dass das Töten der Küken heute unter ethischen Gesichtspunkten vermehrt abgelehnt werde. Für einen dahingehenden mehrheitlichen Konsens gebe es aber keine Anhaltspunkte. Im Übrigen handle es sich um eine rechtliche Wertung, die sich nicht nach der Einstellung von Bevölkerungsteilen richte.
Unabhängig davon habe der Beklagte sein Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt. Er habe die belastenden Auswirkungen der Untersagung mit der eingeräumten Übergangsfrist nicht hinreichend berücksichtigt. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, der Untersagung zu einem Zeitpunkt Folge zu leisten, in dem sich wegen des Stands der Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei eine rechtliche Neubeurteilung der Tötung der männlichen Küken mit Auswirkungen auf alle Brütereien abzeichne.
Mit seiner Revision macht der Beklagte im Wesentlichen geltend: Das Oberverwaltungsgericht habe nur auf die ökonomischen Gründe abgestellt und das Tierwohl nicht wirklich abgewogen. Ökonomische Gründe seien nicht per se vernünftig im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG. Das Tierschutzgesetz schütze das Tier um seiner selbst willen. Der Gedanke der Mitgeschöpflichkeit, der auch dem Staatsziel des Art. 20a GG zugrunde liege, verbiete eine Produktionsmethode, die die Hälfte der erzeugten Tiere als Abfall ansehe. Das Oberverwaltungsgericht habe die Berufsfreiheit des Klägers undifferenziert übergewichtet und die Staatszielbestimmung nicht in Ansatz gebracht. Es habe zudem verfahrensfehlerhaft versäumt, die Auffassung in der Bevölkerung zur Tötung männlicher Küken aufzuklären. Bei der Ermessenskontrolle habe es übersehen, dass kein Entschließungsermessen bestehe, zumal - jedenfalls objektiv - ein Straftatbestand verwirklicht werde.
Der Kläger tritt der Revision entgegen: Das Töten von Eintagsküken werde bereits durch die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 zugelassen. Die Praxis des Tötens bestehe seit mehr als 50 Jahren weltweit. Auch die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestags gingen davon aus, dass sie derzeit zulässig sei. Ökonomische Gründe müssten als vernünftiger Grund im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG anerkannt werden. Insoweit eine umfassende Abwägung zu verlangen, sei verfehlt. Der Grund müsse triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen sein. Hier ergebe sich ein vernünftiger Grund bereits daraus, dass es für männliche Eintagsküken keine hinreichenden Absatzmöglichkeiten gebe. Ihre Aufzucht sei wirtschaftlich, aber auch ressourcenökologisch unvernünftig.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er ist der Auffassung, für das Tötungsverbot sei eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers erforderlich, an der es hier fehle.
Die Beschuldigten führten hierzu aus, die Revision des Beklagten sei nicht begründet. Die angefochtene Untersagungsverfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten (§113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, das Töten der männlichen Küken verstoße nicht gegen tierschutzrechtliche Vorschriften, sei im Ergebnis mit dem Bundesrecht vereinbar. Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen sei für sich genommen zwar kein vernünftiger Grund im Sinne von §1 Satz 2 TierSchG für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien. Wäre jedoch – wie im maßgeblichen Zeitpunkt hier- absehbar, dass in Kürze Alternativen zum Töten der Küken zur Verfügung stehen würden, die den Brutbetrieb deutlich weniger belasten würden als die Aufzucht der Tiere, beruhe eine Fortsetzung der bisherigen Praxis für eine Übergangszeit noch auf einem „vernünftigen Grund“.
Die an den Kläger gerichtete Untersagung, männliche Küken zu töten, sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Maßgebend für die Entscheidung des Revisionsgerichts seien gemäß § 137 II VwGO die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil. Rechtsänderungen seien bis zum Ergehen der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen (BVerwG, Urteile vom 7. November 2018 - 7 C 18.18 - NVwZ-RR 2019, 456 Rn. 15 und vom 28. Januar 1988 - 3 C 48.85 - Buchholz 418.712 LMKV Nr. 2 S. 3; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 58). Der revisionsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sei demnach das Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2586). Die maßgebenden Vorschriften hätten sich gegenüber dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht geändert.
Gemäß § 1 Satz 1 TierSchG dürfe niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Dieses Verbot erfasse auch das Töten männlicher Küken.
Das Unionsrecht regele das Töten von Küken nicht abschließend. Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (ABl. L 303 S. 1) sehe vor, dass Tiere nur nach einer Betäubung im Einklang mit in Anhang I der Verordnung genannten Verfahren getötet werden dürfen. Für Küken mit einem Höchstalter von 72 Stunden lasse der Anhang auch Zerkleinerung zu (Anhang I Kapitel I Tabelle 1 Nr. 4, Kapitel II Nr. 2). Die Verordnung setze damit voraus, dass das Töten von Küken – auch in großer Zahl- unionrechtlich zulässig sei. Sie hindere die Mitgliedstaaten aber nicht, nach Maßgabe von Art. 26 der Verordnung strengere nationale Vorschriften über den Schutz der Küken zum Zeitpunkt der Tötung beizubehalten oder zu erlassen. Ebenso wenig stehe sie nationalen Vorschriften entgegen, die das Töten der Küken untersagen oder beschränken.
Es gäbe auch im deutschen Recht keine speziellen gesetzlichen Regelungen über das Töten von Küken. Das Tierschutzgesetz enthalte hierzu keine über §1 Satz 1 TierSchG hinausgehende ausdrückliche Regelung.
Die allgemeinen Vorschriften im 3. Abschnitt des Tierschutzgesetzes – „Töten von Tieren“ – regeln nicht, ob ein Tier getötet werden dürfe, sondern wie es getötet (§ 4 TierSchG) bzw. geschlachtet (§4a TierSchG) werden müsse (Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 4 Rn. 2; Kluge, in: Kluge, Tierschutzgesetz, 2002, § 4 Rn. 1; Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 6. Aufl. 2008, § 4 Rn. 2).
Die Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates (Tierschutz-Schlachtverordnung - TierSchlV) vom 20. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2982) stehe als Rechtsverordnung im Rang unter dem Tierschutzgesetz.
Sie diene der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 und der Ausfüllung des Vorbehalts für strengere nationale Regelungen; die Zerkleinerung von Küken lasse sie nur bis zu 60 Stunden nach dem Schlupf zu (§ 2 Nr. 3, § 12 Abs. 3, Anlage 1 Nr. 3 TierSchlV).
Die Tierschutz-Schlachtverordnung setze damit voraus, dass das Tierschutzgesetz das Töten der Tiere zulässt. Ob das der Fall ist, müsse durch Auslegung des § 1 Satz 2 TierSchG ermittelt werden.
Durch das Töten werde den Küken ein Schaden im Sinne des §1 Satz 2 TierSchG zugefügt. Das Tierschutzgesetz schütze nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin (§1 Satz 1 TierSchG; BT-Drs. VI/ 2559 S. 9). Insoweit unterscheide es sich nicht nur von der Vorgängerregelung, dem Tierschutzgesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I S. 987), sondern auch von den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Nach den Angaben des Beklagten enthalte nur das österreichische Tierschutzgesetz eine vergleichbare Regelung.
Nutztiere seien von dem Schutz des Lebens nicht ausgenommen; das Tierschutzgesetz messe auch dem Leben eines jeden Nutztieres einen Wert an sich zu.
Das Verbot des §1 Satz 2 TierSchG, einem Tier „ohne vernünftigen Grund“ Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, sei ausgerichtet auf einen Ausgleich zwischen den rechtlich geschützten Interessen der Tierhalter einerseits und den Belangen des Tierschutzes andererseits (BVerfG, Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90 - BVerfGE 101, 1 <37>). Das Tierschutzgesetz solle wirtschaftliche und wissenschaftliche Interessen die sich aus der Entwicklung der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik ergeben, mit den ethischen Forderungen aus dem Gebiet des Tierschutzes in Einklang bringen (vgl. BT-Drs. VI/2559 S. 9). Der „vernünftige Grund“ sei der zentrale Begriff zur Herstellung dieses Ausgleichs (vgl. Caspar, NuR 1997, 577; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 30). Ausgehend hiervon sei ein Grund für die Zufügung von Schmerzen, Leiden oder Schäden jedenfalls dann vernünftig im Sinne des Tierschutzgesetzes, wenn es einem schutzwürdigen menschlichen Interesse dienen würde, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegen würde als das Interesse an dem Schutz des Tieres (vgl. BT-Drs. 16/9742 S. 4; von Loeper, in: Kluge, Tierschutzgesetz, 2002, § 1 Rn. 52; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 31, 33; Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 6. Aufl. 2008, § 1 Rn. 62).
Dass das Verhalten gegenüber dem Tier nicht willkürlich ist, insbesondere nicht auf zu missbilligenden Motiven beruhe, wie etwa der Lust an der Vernichtung oder dem Quälen von Tieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2000 - 3 C 12.99 - Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 11 S. 3), genüge für einen vernünftigen Grund hiernach nicht. Schutzwürdig seien, soweit es um Nutztiere geht, andererseits nicht nur die unmittelbaren Ernährungs- und vergleichbaren Bedürfnisse des Menschen; auch das wirtschaftliche Interesse der Tierhalter an einem möglichst geringen Aufwand für die Erfüllung dieser Bedürfnisse sei grundsätzlich anzuerkennen. Derartige wirtschaftliche Interessen müssten aber- wie jedes schutzwürdige menschliche Interesse beim Umgang mit den Tieren- an den Belangen des Tierschutzes gemessen werden und sind gegebenenfalls Begrenzungen unterworfen. Sie seien also nicht schon deshalb vernünftig im Sinne von §1 Satz 2 TierSchG, weil sie ökonomisch plausibel seien.
Den Belangen der Tierhalter stünden die unter den konkreten Umständen berührten Belange des Tierschutzes gegenüber. Dem Tierschutzgesetz vom 24. Juli 1972 (BGBl. I S. 1277) liege ein ethisch ausgerichteter Tierschutz zugrunde (BT-Drs. VI/2559 S. 9; BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1978 - 1 BvL 14/77 - BVerfGE 48, 376 <389>). Das Erste Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 12. August 1986 (BGBl. I S. 1309) habe den Schutz der Tiere in §1 Satz 1 TierSchG ausdrücklich auf die Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf gestützt. Eine materielle Änderung gegenüber dem Tierschutzgesetz vom Juli 1972 wäre nicht beabsichtigt gewesen (BT-Drs. 10/5259 S. 39). Veranlasst wäre die Ergänzung aber durch das zunehmende Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Erfordernisse des Tierschutzes und der wachsenden Kritik an der Vollzugspraxis, u.a. im Bereich der Massentierhaltung (BT-Drs. 10/3158 S. 16; BT-Drs. 10/5259 S. 32; BT-Drs. 10/2703 S. 13).
Die Aufnahme des Tierschutzes in den Schutzauftrag des Art. 20a GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. Juli 2002 (BGBl. I S. 2862) hätte den bereits einfachgesetzlich normierten Tierschutz im Rahmen von Abwägungsentscheidungen weiter gestärkt (BT- Drs. 14/8860 S.3). Als Belang von Verfassungsrang sei der Tierschutz im Rahmen von Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen und könne geeignet sein, ein Zurücksetzen anderer Belange von verfassungsrechtlichen Gewicht – wie etwa die Einschränkung von Grundrechten – zu rechtfertigen; er würde sich andererseits gegen konkurrierende Belange von verfassungsrechtlichem Gewicht nicht notwendigerweise durchsetzen (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 - 2 BvF 1/07 - BVerfGE 127, 293 <328>). Zudem schütze gemäß Art. 20a GG die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung die Tiere „nur nach Maßgabe von Gesetz und Recht“. Es sei vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers, den Tierschutz zu einem gerechten Ausgleich mit widerstreitenden Grundrechten zu bringen (BVerwG, Urteil vom 23. November 2006 - 3 C 30.05 - BVerwGE 127, 183 Rn. 12). Im Hinblick auf den hohen Stellenwert, der dem ethischen Tierschutz mit der Verfassungsänderung beigemessen wurde, sollte die verfassungsrechtliche Verankerung den Tierschutz stärken, aber auch die Wirksamkeit tierschützender Bestimmungen sicherstellen (BT-Drs. 14/8860 S. 3). Dieses Ziel sei bei der Auslegung wertungsoffener unbestimmter Rechtsbegriffe zu berücksichtigen; der in §1 Satz 2 TierSchG genannte „vernünftige Grund“ sei ein solcher Rechtsbegriff (vgl. Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 6. Aufl. 2008, § 1 Rn. 61; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 30).
Andererseits könne der ethisch begründete Tierschutz nicht bereits kraft seiner ethischen Fundierung Vorrang vor den rechtlich geschützten Interessen der Tierhalter beanspruchen.
Die männlichen Küken aus Zuchtlinien, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind, würden getötet werden, weil sie für das Eierlegen nicht in Betracht kommen und für die Mast wenig geeignet sind. Das Interesse des Klägers und anderer Brutbetriebe, den Einsatz von Ressourcen für die Aufzucht zu vermeiden, sei schützenswert. Das Betreiben einer Brüterei sei eine durch die Berufsfreiheit geschützte Tätigkeit; diese könne jedoch durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG).
Sollte das Tierschutzgesetz das Töten der männlichen Küken weiter wegen des Fehlens eines vernünftigen Grundes im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG verbieten, bliebe die Berufsausübung im Übrigen hiervon unberührt. Das Ausbrüten von Eiern wäre weiter erlaubt; auch die Entscheidung des Brüters, ob in seinem Betrieb Eier aus Lege-, Mast- oder Zweinutzungslinien ausgebrütet werden, bleibe frei. Wenn er sich weiter für Eier aus besonders leistungsfähigen Legelinien entscheiden würde, müsse er allerdings auch die für die Mast wenig geeigneten männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien aufziehen.
Bei der Gewichtung der wirtschaftlichen Interessen dürfe nicht zugrunde gelegt werden, dass nur der jeweilige Adressat der Untersagungsverfügung das Tötungsverbot zu beachten hat. Das Töten von Wirbeltieren, also auch von Küken ohne vernünftigen Grund wäre nicht nur unzulässig (§1 Satz 2 TierSchG), sondern erfülle auch einen Straftatbestand (§ 17 Nr. 1 TierSchG). Wenn das wirtschaftliche Interesse an auf hohe Legeleistung gezüchteten Hennen kein vernünftiger Grund für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien sei, dürften sie in Deutschland in keinem Brutbetrieb getötet werden. Für Brutbetriebe von außerhalb Deutschlands gelte dies allerdings nicht. Soweit das deutsche Tierschutzrecht die Nutztierhaltung weitergehend als das Unionsrecht oder die Rechtsordnungen anderer für den Wettbewerb relevanten Staaten beschränkt seien, wären die sich daraus ergebenden Wettbewerbsnachteile der Brütereien in Deutschland eine notwendige Folge der nationalen gesetzlichen Regelungen. Welches Gewicht dem wirtschaftlichen Interesse am Töten der männlichen Küken zuerkannt werden könne, hänge auch von den in Betracht kommenden Alternativen ab. Die aus den Legelinien stammenden männlichen Küken aufzuziehen, wäre zwar möglich, für die Brutbetriebe aber mit erheblichen Lasten verbunden. Diese Küken seien – wie das Oberlandesgericht festgestellt hat (UA S. 29) – für die Mast erheblich schlechter geeignet als Tiere aus Mastlinien. Das Oberverwaltungsgericht hat den Aufwand für die Aufzucht der männlichen Küken aus Legelinien als ökonomisch sinnlos eingestuft (UA S. 30). Gleiches galt im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für die Aufzucht von Küken aus Zweitnutzungslinien, also aus Zuchtlinien, die sowohl für das Legen von Eiern als auch zur Fleischerzeugnis besser geeignet sind (UA S. 30, 39; vgl. auch BT-Drs. 18/7782 S.2). Bereits damals dürften Küken aus Zweitnutzungslinien für die Mast besser geeignet gewesen sein als Küken aus reinen Legelinien; auch sie waren für Zwecke der Fleischerzeugung aber noch erheblich schlechter geeignet als Tiere aus Mastlinien. Die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei wären im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in der Entwicklung, unter realen Praxisbestimmungen aber noch nicht einsetzbar gewesen (UA S. 38). Eine tatsächliche verfügbare Alternative waren sie mithin nicht. Das Interesse am Schutz der männlichen Küken sei ausgehend von der Wertung des Tierschutzgesetzes zu gewichten. Das Tierschutzgesetz schütze -wie gezeigt- nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. Diese Gewährleistung sei nicht absolut. Die Konzeption des Lebensschutzes solle ausweislich der Gesetzesbegründung nicht in Widerspruch zu jeder berechtigten und vernünftigen Lebensbeschränkung des Tieres im Rahmen des Erhaltungsinteresse des Menschen stehen (BT-Drs. VI/2559 S.9). Das Tierschutzgesetz verbiete weder das Schlachten von Tieren (vgl. §4a TierSchG) noch das Töten gebrechlicher oder kranker Tiere (vgl. §3 Nr. 2 TierSchG).
Dass das Tierschutzgesetz das Schlachten von Nutztieren zulasse und der Tierhalter auch den Zeitpunkt der Schlachtung im Wesentlichen selbst bestimmen kann, bedeute nicht, dass auch das Töten von männlichen Küken als normaler Vorgang im Rahmen der Ernährungswirtschaften zu qualifizieren wäre. Zwischen beiden Vorgängen bestünden wesentliche Unterschiede: Anders als Schlachttiere würden männliche Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ für die vom Brutbetrieb verfolgen Zwecke stünde von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus den auf eine hohe Legeleistung ausgerichteten Zuchtlinien sei allein die Aufzucht von Legehennen. Die Eier aus diesen Zuchtlinien würden in dem sicheren Wissen ausgebrütet werden, dass nicht nur einzelne Tiere, sondern sämtliche männliche Küken und damit rund die Hälfte aller Küken für den Brutbetrieb keinen Nutzen haben und deshalb, wenn sich ein Abnehmer nicht findet, umgehend getötet werden sollen. Dies betraf in Deutschland im Jahr 2012 rund 45 Millionen männliche Küken pro Jahr (UA S.3). Eine derartige Verhaltensweise widerspräche in fundamentaler Weise dem ethisch ausgerichteten, das Leben als solches einschließenden Tierschutzes, wie er dem Tierschutzgesetz zugrunde liegt. Dem Leben eines männlichen Kükens aus Legelinien würde jeder Eigenwert abgesprochen. Anders als ein Schlachttier werde das männliche Küken nicht getötet, im für menschliche Bedürfnisse verwertet zu werden, sondern um wirtschaftliche Lasten für den Brutbetrieb zu vermeiden. Dass das Küken bis zur Bestimmung seines Geschlechts lebst, ändere daran nichts. Die Geschlechtsbestimmung diene allein der Aussonderung der von vornherein als nutzlos betrachteten Tiere.
Bei einer Abwägung der gegenläufigen Belange wögen die Belange des Tierschutzes schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, Folgekosten für die männlichen Küken aus Legelinien zu vermeiden. Dass Küken aus Lege- und Zweitnutzungslinien für die Mast erheblich schlechter geeignet seien als Küken aus Mastlinien, sei Folge einer vorwiegend am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Zucht und einer hierauf aufbauenden Produktionsweise; beide hätten sich in den letzten Jahrzehnten unter Zurückstellung tierschutzrechtlicher Bedenken etabliert. Das systematische Töten von männlichen Küken aus Legelinien sei aber nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen Tierschutzgesetz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen. Der nach der Konzeption des Tierschutzgesetzes ethisch fundierte Lebensschutz werde für diese Tiere nicht nur zurückgestellt, sondern gänzlich aufgegeben. Sie würden in dem sicheren Wissen erzeugt, dass sie umgehend wieder getötet werden. Auch beim Schlachten von Nutztieren fände zwar kein Ausgleich zwischen dem Leben des Tieres und dem Nutzungsinteresse des Tierhalters statt; dem Leben eines Schlachttieres sei aber nicht von vornherein jeder Wert abgesprochen worden. Im Lichte des in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruhe das Töten der männlichen Küken nach heutigen Wertvorstellungen für sich genommen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund im Sinne von §1 Satz 2 TierSchG ( so ohne zeitliche Differenzierung – auch Caspar, NuR 1997, 577; von Loeper, in: Kluge, Tierschutzgesetz, 2002, § 1 Rn. 57; Ort, NuR 2010, 853; Köpernik, AUR 2014, 290; Ogorek, NVwZ 2016, 1433; a.A. Steiling, AUR 2015,7; Beckmann, NuR 2016, 384).
Wie der Gesetzgeber das Kükentöten bei der Schaffung des Tierschutzgesetzes vom 24. Juli 1972 bewertet hätte, sei insoweit nicht maßgeblich. Im damaligen Gesetzgebungsverfahren nahm die Massengeflügelhaltung breiten Raum ein; die Problematik der Tötung männlicher Küken wurde von niemandem angesprochen. Die Bundesregierung habe in ihrem Gesetzesentwurf die Entwicklung zur Massentierhaltung als ökonomisch gegeben angesehen (BT-Drs. VI/2559 S.9). Das Gesetz habe die Massentierhaltung aber nicht von dem Verbot ausgenommen, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Es gäbe auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber im Bereich der Massentierhaltung jede ökonomisch begründete Zurückstellung von Tierschutzbelangen als vernünftig gewertet wissen wollte. Selbst wenn er damals das Töten männlicher Küken für tierschutzrechtlich zulässig gehalten habe, stünde dies heute einer anderen rechtlichen Bewertung nicht entgegen. Die Frage, ob die Küken aus einem vernünftigen Grund im Sinne von §1 Satz 2 TierSchG getötet werden, müsse nach den Maßstäben eines ethischen Tierschutzes beurteilt werden, nicht nach den Wertvorstellungen bei der Schaffung des Tierschutzgesetzes im Jahr 1972. Der Gesetzgeber sei sowohl bei der Ergänzung des § 1 TierSchG im Jahr 1986 als auch bei der Einführung des Staatsziels Tierschutz im Jahre 2002 davon ausgegangen, dass dem Tierschutz im Vergleich zum Jahr 1972 ein hoher Stellewert beigemessen werde; er habe diesem Bewusstseinswandel Rechnung tragen wollen (BT-Drs. 10/3158 S. 16; BT-Drs. 14/8860 S. 3). Die Auslegung des Begriffs „vernünftiger Grund“ sei hierfür ebenfalls offen.
Da der Begriff des vernünftigen Grundes in § 1 Satz 2 TierSchG auf einen Ausgleich zwischen den rechtlich geschützten Interessen der Tierhalter und den Belangen des Tierschutzes ausgerichtet sei, dürfe die bisherige Praxis und die Belange der Tierhalter bei einer Umstellung der Betriebsweise nicht außer Betracht bleiben. Die starke Spezialisierung der Hühnerzuchtlinien entweder auf Eierproduktion oder Fleischerzeugung habe bereits in den 1960er Jahren eingesetzt (UA. S. 36). Eine an diese Zuchtweise anknüpfende Betriebsweise mit einem Töten der männlichen Küken aus den Legelinien sei zwar aus heutiger Sicht tierschutzrechtlich nicht zulässig. Die Veterinärbehörden und der Gesetzgeber hätten diese Praxis aber jahrzehntelang hingenommen, zunächst ausgehend von einer damaligen Vorstellung konkurrenzfähiger Alternativen (BT-Drs. 18/6663 S. 10). Vor diesem Hintergrund könne von Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer bisherigen Betriebsweise nicht verlangt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2012 - 1 BvR 367/12 - BVerfGE 131, 47 <57> m.w.N.). Davon sei auch der Beklagte in seiner Untersagungsverfügung ausgegangen. Er habe die Tötung von männlichen Küken nicht mit sofortiger Wirkung untersagt, sondern erst ab 1. Januar 2015. Dieser Zeitpunkt lag mehr als ein Jahr nach dem Erlass der Verfügung. Die sofortige Vollziehung der Verfügung habe er nicht angeordnet.
Vollzugsdefizite im Bereich des Tierschutzes würden grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen des Tierhalters auf Fortsetzung seines bisherigen Verhaltens begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.November 2016 -3B11.16- Buchholz 418.9 TierSchG Nr.24 Rn. 58). Die in den letzten Jahrzehnten geübte Praxis wäre aber nach damals vorherrschender Praxis nicht rechtswidrig gewesen. Erst die anhaltende und fundierte Kritik hieran habe Anlass gegeben, weitere Alternativen zum Töten der männlichen Küken zu entwickeln und diese Entwicklung auch staatlich zu fördern. Bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wäre nach seinen Feststellungen absehbar gewesen, dass in näherer Zukunft eine Geschlechtsbestimmung im Ei möglich sein würde (UA S. 47 f.). Auch eine Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten von Hühnern aus Zweitnutzungslinien wäre möglich erschienen (UA S. 39). Die weitere Entwicklung habe die damalige Einschätzung bestätigt. Nach dem Vertreter des Bundesinteresses in das Verfahren eingeführten, nicht bestrittenen Erkenntnissen (Schriftsatz vom 6. März 2019) seien seit November 2018 Eier von Hennen im Handel, deren Geschlecht bereits im Ei endokrinologisch bestimmt wurde. Auch das spektroskopische Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei sei danach zwischenzeitlich so weit entwickelt, dass es Mitte des Jahres 2019 in einer „Nullserie“ in einem Brutbetrieb zur Anwendung kommen solle.
In einer solchen Situation stelle es keinen angemessenen Interessenausgleich im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG dar, den Brutbetrieben das weitere Töten männlichen Küken ohne eine Übergangsfrist zu untersagen, die es ihnen ermöglicht, die konkret absehbare Einsatzmöglichkeit von Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei und unterdessen auch eine etwaige weitere Entwicklung der Zweitnutzungslinien abzuwarten. Ohne eine solche Übergangsfrist wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweitnutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung sei in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.
Würde ein vernünftiger Grund für das Töten der männlichen Küken ungeachtet des Zeitbedarfs für eine Umstellung der Betriebe verneint, könnte den schutzwürdigen Belangen der Tierhalter nicht angemessen Rechnung getragen werden. Das Töten von Küken ohne vernünftigen Grund, sei wie dargelegt, nicht nur unzulässig, sondern eine Straftat (§17 Nr. 1 TierSchG). Als strafbares Verhalten wäre es nicht durch das Grundrecht der Berufsfreiheit gedeckt (vgl. BVerfG, Urteil vom 28.März 2006 - 1 BvR 1054/01 - BVerfGE 115, 276 <301>). Ein Grund, ein solches strafbares Verhalten für eine Übergangszeit zu dulden, wäre nicht ersichtlich. Der Ausgleich zwischen dem Interesse der Brutbetriebe an einem Töten der männlichen Küken und den Belangen des Tierschutzes sei bereits im Rahmen der Auslegung „vernünftiger Grund“ – und damit auf der Tatbestandsebene der Verbotsnorm des §1 Satz 2 TierSchG- herzustellen. Zudem kann nur über den Begriff des vernünftigen Grundes ein einheitlicher Vollzug des Gesetzes mit einer einheitlichen Übergangsfrist sichergestellt werden. Hätte die jeweils zuständige Veterinärbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen eine Übergangsfrist zu setzten, könnte- wie die jeweils vorliegende Untersagungsverfügung zeigt- das unterschiedliche Vorgehen der Behörden für den Adressaten der Verfügung zu erheblichen Nachteilen im Wettbewerb führen und sogar die Existenz des Betriebes gefährden.
Das Bundesverwaltungsgericht dürfe nicht selbst eine Übergangsfrist bestimmen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei lediglich die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung im maßgebenden Zeitpunkt zu beurteilen. Solange der Gesetzgeber keine Frist setze, sei es Aufgabe der für den Vollzug des Tierschutzgesetzes zuständigen Behörden, die weitere Entwicklung der Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei und der Zweitnutzungsrassen zu beobachten und ausgehend von dem dargelegten Maßstab zu beurteilen, ob ein vernünftiger Grund für eine weitere Fortsetzung der bisherigen Praxis noch gegeben sei.
Die Verfahrensrüge des Beklagten sei ebenfalls unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass für die Gewichtung der im Rahmen von § 1 Satz 2 TierSchG zu berücksichtigenden Interessen rechtliche Wertungen maßgebend seien, nicht Einstellungen nicht näher bestimmter Teile der Bevölkerung (UA S. 43). Danach bestand kein Anlass, in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären, wie die Bevölkerung das Töten der männlichen Küken ethisch bewertet.
In ihrem Ablehnungsbescheid führt die Staatsanwaltschaft zunächst aus, dass nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB darstellt.
Vielmehr sei erforderlich, dass der Rechtsbruch die Qualität eines elementaren Verstoßes gegen die Rechtspflege darstellt, bei der sich der Amtsträger bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt (BeckOK StGB/Bange, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 339 Rn. 12). Als Konsequenz daraus folgt, dass die Verletzung geltender Normen nur dann den objektiven Tatbestand des § 339 StGB erfüllt, wenn das Verhalten des Täters sich zugleich als Angriff gegen grundlegende Prinzipien des geltenden Rechts oder gegen die Rechtsordnung als Ganze bewerten lässt (BeckOK StGB/Bange, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 339 Rn. 12). Überträgt man dies auf den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus folgendes:
Das Rechtsgut des ethischen Tierschutzes ist die sittliche Ordnung in der Beziehung zwischen Menschen und Tier (hM; MüKoStGB/Pfohl § 17 TierSchG Rn. 5 mwN). In seiner Funktion als Auslegungsgrundsatz überträgt §1 TierSchG dem Menschen die Verantwortung geltendes Recht möglichst tierfreundlich auszulegen („tierfreundliche Auslegung“, vgl. Hirt/Maisack/Moritz § 1 Rn. 1 mwN, Erbs/Kohlhaas/Metzger TierSchG § 1 Rn. 3). Dies gilt demzufolge auch für die hier ausschlaggebende Begrifflichkeit des „vernünftigen Grund“ aus §1 Satz 2 TierSchG. Leitgedanke ist hierbei nicht den Tieren jede Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens zu ersparen, sondern vielmehr die Tiere nicht vermeidbaren, das unerlässliche Maß übersteigenden Schmerzen, Leiden oder Schäden auszusetzen (BVerfG Beschl. 20.6.1978 BVerfGE 48, 376). Der Grund aus welchem der Täter handelt ist nach dem Grundsatz der objektiven Vernünftigkeit zu beurteilen (Erbs/Kohlhaas/Metzger TierSchG § 1 Rn. 34). Im Lichte dessen erscheint es bei der gebotenen tierfreundlichen Auslegung des Rechts unbillig, die Tötung männlicher Küken aus Bequemlichkeit der Brütereibetreiber und unverhältnismäßig großen Aufwand der Aufzucht weiter zuzulassen. Durch die Natur des Betriebs ist die Erzeugung von männlichen Küken schlichtweg unvermeidbar. Dass sie durch ihre mangelnde Eignung zur Fleischerzeugung jedoch geradezu als „Abfallprodukt“ der Legelinien herabgestuft werden, widerspricht dem Grundsatz der Mitschöpflichkeit in jeder Form. Mit ihrem nicht vorhandenen wirtschaftlichen Nutzen ihre Tötung, wenn auch nur teilweise, zu legalisieren ist äußerst unangemessen. Auch dass in ferner Zukunft neue Techniken entwickelt sein sollen, welche bereits im Ei das Geschlecht des Kükens voraussagen können reichen als Rechtfertigung nicht aus. Diese Techniken sind nach Angaben des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung voraussichtlich frühestens ab Ende 2021 verfügbar (https://www.bmel.de/DE/Tier/Tierwohl/_texte/Tierwohl-Forschung-In-Ovo.html).
Als Konsequenz folgt daraus, dass (vorausgesetzt die Methode befindet sich bis dahin tatsächlich auf dem Markt) bis zum Ende 2021 die Tötung der männlichen Küken aus Bequemlichkeit zugelassen wird, weil man es den Bauern nicht zumuten will, für die Übergangszeit eine andere Möglichkeit zum Umgang mit den Küken zu finden. Hieraus folgt wiederum, dass das Gericht billigend hingenommen hat, dass bis zur Verfügbarkeit der neuen Methoden, gemessen ab dem jetzigen Zeitpunkt, rund 90 Millionen Küken bei lebendigem Leib geschreddert werden. Das Töten von Millionen lebendigen Küken als „Abfall“ durch Hineinwerfen in einen Häcksler ist ein höchst grausames Unterfangen für jedes Wirbeltier, unabhängig von seinem Alter (zum Thema Eintagsküken) oder seiner Art. Diese Praxis ist schlicht grausam, und sollte keinem Lebewesen zugemutet werden.
Die Billigung dieser Praxis wird, zumindest für diesen Zeitraum, allein mit dem unverhältnismäßig großen Aufwand der Aufzucht der Küken, und ihrem fehlenden wirtschaftlichen Nutzen begründet. Aus diesen Gründen direkt eine Unzumutbarkeit der Umstellung für die Bauern abzuleiten ist absolut inakzeptabel, und widerspricht jedem von ethischem Tierschutz geleiteten Gedanken.
Dabei erkennen die Beschuldigten auf S. 8 Rn. 17 ihres Urteils gerade an, dass das Tierschutzgesetz wirtschaftliche und wissenschaftliche Interessen, die sich aus der Entwicklung der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik ergeben, mit den ethischen Forderungen auf dem Gebiet des Tierschutzes in Einklang bringen soll. Inwiefern ist es mit diesen Erkenntnissen mit den ethischen Forderungen des Tierschutzes vereinbar, die wirtschaftlichen Interessen der Bauern für die zwei Folgejahre so erheblich über den Wert von 90 Millionen Kükenleben zu stellen? Es handelt sich bei dem Schreddern schließlich nicht um eine Behandlung nebensächliche Interessen der Tiere berührt, sondern durch das Töten wird den Tieren der größtmögliche Schaden zugefügt.
Angenommen, die Technik wäre tatsächlich in zwei Jahren auf dem Markt, so sollte es den Brutbetrieben zumutbar sein, die Küken welche sich nun entwickeln am Leben zu lassen. Denn ab dem Zeitpunkt an dem die neuen Methoden auf dem Markt sind, kann sich der Brutbetrieb wieder regulieren. Es erscheint eher sachgemäß, zugunsten des Tieres zu entscheiden und eine absehbare und vorübergehende schlechtere Situation für den allgemeinen Brütereibetrieb zuzulassen, wie den Tieren eine unwiderrufliche Chance zu leben zu nehmen.
Die Beschuldigten waren sich bewusst, dass sie contra legem entscheiden und haben dies ganz berechnend gemacht -zulasten der geschützten Tiere. Was seit Jahren grausame Praxis ist, wird quasi von den Beschuldigten durch den Urteilsspruch „legalisiert“. Sie haben ihre Machtbefugnisse wissentlich ausgenutzt, um ein höchst kritisches Unterfangen beinahe leichtfertig zu billigen. Die Beschuldigten wussten um die rechtliche als auch um die tatsächliche Wirkung ihres Urteils. Durch den Urteilsspruch ändert sich an der Praxis der Brutbetriebe nichts, obwohl dies nach dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers mit Blick auf Art. 20a GG und § 1 TierSchG gewünscht war. Auf diese Weise haben sie, ohne ihnen diesbezüglich zustehender Kompetenz, die Rechtslage geändert.
Es erscheint fast so, als ob sich die Beschuldigten die größtmögliche Mühe gegeben haben, die Angelegenheit mit Empathie für den Tierschutz zu behandeln um auf diese Art die Reaktionen auf das schlussendlich eher nachteilige Urteil für den Tierschutz abzumildern.
Es ist daher offensichtlich, dass die Beschuldigten, obwohl sie Kenntnis von allen ausschlaggebenden Umständen hatten, sich bewusst gegen die tierschutzfreundliche Auslegung entschieden, und damit gegen grundlegende Prinzipien des geltenden Rechts verstoßen haben. Die Beschuldigten haben die Problematik genau erkannt und dann entschieden, das Recht zu ignorieren. Dies ist kein Ermessensfehler oder eine Fehlentscheidung, sondern vorsätzliche falsche Anwendung geltenden Rechts.
Darin ist die von der Staatsanwaltschaft bemängelte bewusste und schwerwiegende Entfernung von geltendem Recht zu sehen.
Auch der Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 ändert an der Rechtslage nichts. Denn gemäß Art. 26 der Verordnung ist es den Mitgliedstaaten durchaus gestattet strengere Regelungen zu erlassen. Diese strengeren Regelungen ergeben sich in Deutschland aus dem Konstrukt des Tierschutzgesetzes insb. § 1 TierSchG und dem in Art. 20a GG festgesetzten Staatsziel Tierschutz. Durch diese Regelungen wird dazu angehalten, wie oben bereits betont, Regelungen mit Hinblick auf die ethischen Forderungen des Tierschutzes auszulegen.
Insoweit ist es auch nicht korrekt anzunehmen, die Bewertung der Bevölkerung bezüglich des Tötens männlicher Küken wäre nicht zu berücksichtigen. Jedes Urteil ergeht „im Namen des Volkes“. Daher muss sich die Judikative gerade an den Maßstäben welche die Bevölkerung stellt und der Art wie sie die Gesetzgebung beeinflussen halten. Dies gilt insbesondere für die Forderungen des ethischen Tierschutzes. Die Tierschutzbewegung ist vergleichsweise jung und revolutioniert Gesetz und Rechtsprechung. Die Ansichten der Bevölkerung bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen ist daher notwendig für ihre Entwicklung. Die Ansicht der Beschuldigten, die Einstellung der Bevölkerung zu den Themen Tierschutz und Kükenschreddern bewusst bei der Urteilsfindung außer Acht lassen zu dürfen, ist nicht nur fatal und inkorrekt, sondern auch arrogant gegenüber der Bevölkerung. Im Gegensatz zum Menschen haben die Tiere keine Möglichkeit sich selbst zu verteidigen und sind darauf angewiesen, dass sich der Mensch an den geschaffenen rechtlichen Rahmen hält. Gerade in tierschutzrechtlichen Angelegenheiten ist es daher äußerst leicht die Ersthaftigkeit der Sache zu verkennen. Diese Schutz- und Verteidigungslosigkeit konnten die Beschuldigten in der Abwägung ob ein „vernünftiger Grund“ vorliegt ausnutzen.
Gerade als vernunftbegabte Wesen sollten die Beschuldigten dazu in der Lage sein, im Umbruch zu denken und ihre Aufgabe, die zeitgemäße und gewissenhafte Anwendung von Recht und Gesetz, annehmen.
Wir sind uns dem Umstand durchaus bewusst, dass die Verurteilung wegen Rechtsbeugung für die Beschuldigten zur Entlassung aus dem Richteramt führen könnte. Das darf jedoch bei der Bewertung, ob Rechtsbeugung vorliegt, kein Hinderungsgrund sein. Es kommt einzig und allein auf den Verstoß an.
Es ist im Zweifel Anklage zu erheben und die rechtliche Einschätzung strafbaren Verhaltens den erkennenden Gerichten zu überlassen. Die Staatanwaltschaft ist Herrin des Ermittlungsverfahrens nicht Herrin der Anklage. Das Ermittlungsverfahren ist ausermittelt (bis auf eine Vernehmung der Beschuldigten).
Rafael Fischer, Rechtsanwalt und Letizia Divava, stud. jur. der Universität Konstanz